Essays, Geschichten, Reisetipps aus und über Südafrika

Zwischen Paranoia und Verdrängung: Wie gefährlich ist Kapstadt?

Kapstadt ist nicht nur für seine Schönheit weltbekannt,  sondern auch für seine Gefahren berüchtigt. Liest man zuviel Reportagen über das Ausmaß der Kriminalität, das Ausufern der Gewalt, könnte man den Eindruck gewinnen, ein Besuch sei zwingend lebensgefährlich. 

Der ungebetene Besucher kam gegen neun Uhr morgens, deaktivierte den Alarm, und drang durch die offen stehende Hintertür ein. Er griff sich das große Messer, das in der Küche auf dem Brett lag, ging ins Wohnzimmer, und überraschte den dort in seinem Lieblingssessel dösenden alten Mann. Nachdem er ihn in der eigenen Toilette eingeschlossen hatte, durchkämmte er das Haus nach Wertvollem. Viel konnte er nicht mitnehmen, denn vor zwei Wochen war schon einmal 'Besuch' da gewesen. Ein bisschen Bargeld, ein paar DVDs und CDs, den neuen iPod, den der alte Mann eben von seiner Tochter geschenkt bekommen hatte, jetzt, da die Stereoanlage weg war. Nach etwa zehn Minuten verschwand der Besuch, und der alte Mann schrie sich drei Tage die Kehle heiser, bis die Nachbarn ihn hörten und befreien konnten. Am selben Tag wurde die Tochter des alten Mannes an einer roten Ampel von zwei Gangstern aus ihrem Auto gezerrt, als sie von Kapstadt nach Stellenbosch unterwegs war. Sie hatte Glück - sie kam davon, ohne vergewaltigt oder ermordet zu werden. Ihr Mann, der gerade auf dem Golfplatz weilte, leider nicht. Im Kampf um seine Brieftasche versetzte ihm ein Angreifer einen tiefen Stich mit einem abgebrochenen Flaschenhals, und das Opfer verblutete bei Loch 13. 


Ein Schauermärchen? In Kapstadt hört man viele solcher Geschichten, und manchmal sind sie sogar wahr. Einige meiner Bekannten sind Opfer von Diebstahl und Raub geworden, mir selber wurde einmal das Auto unter der Nase weg gestohlen (woran ich allerdings ein bisschen selber schuld war). Andere Kapstädter leben seit Jahren unbehelligt, und auch wir fühlen uns derzeit keinesfalls gefährdet: In unserem Häuschen, keine 100 Meter vom nächsten illegalen township entfernt, gibt es keine Alarmanlage, keinen Stacheldraht, und keine Gitter vor den Fenstern – eigentlich unerhört in einem Land, in dem Sicherheitstechnik und Security einem Großteil der Bevölkerung Lohn und Arbeit einbringt. Manchmal vergessen wir sogar, nachts die Haustüre zuzumachen – und wachen trotzdem am nächsten Morgen lachend und unversehrt auf. Wie kann man so unbesorgt sein, wo das Unglück doch angeblich schon drohend an der nächsten Ecke lauert? Statistiken und Wahrscheinlichkeiten helfen nicht weiter, das Rätsel unserer Unbeschwertheit zu lösen. Vielmehr muss wohl eine allgemeine Unfähigkeit des Menschen zu Grunde liegen, Gefahrenpotentiale richtig einzuschätzen – bzw. der Glaube, angemessene Risiken bewusst in Kauf nehmen zu können. Lustigerweise erklärt dieser hobbypsychologische Ansatz sowohl unsere Verdrängungstaktik, als auch die Paranoia, die in Kapstadt allgegenwärtig zu sein scheint. 


Als Beispiel: Selbst wenn hinlänglich bekannt ist, dass eine Haiattacke weniger wahrscheinlich ist, als an einem defekten Toaster zu sterben, provoziert ein in der False Bay gefressener Tourist ganze Seiten von alarmistischen facebook und twitter Inhalten – und verdirbt so manchem den Badespaß. Selbst wenn täglich tausende von Anhaltern mitgenommen werden, ohne dass etwas passiert, weiß ganz Kapstadt, wenn wieder einmal jemand dumm genug war, das Schicksal herauszufordern, und sieht sich in den gebetsmühlenartig wiederholten Warnungen vor Trampern bestätigt (wobei die Frage unbeantwortet bleibt, wie die ganzen Maids, Gärtner und Kindermädchen eigentlich zu ihren Arbeitgebern kommen sollen, wenn nicht per Anhalter – der öffentliche Nahverkehr jedenfalls kann das nicht leisten). Die Angst wächst mit jeder Schlagzeile, das Ausschmücken der schrecklichen Realitäten wird zum Selbstläufer, und die weiße Community sieht sich in ihren Warnungen vor dem oft beschworenen blutigen Untergang des Landes bestätigt. Andererseits würde niemand auf sein Auto verzichten wollen – dabei fordern Verkehrsunfälle in Südafrika viel mehr Todesopfer als Gewalt und Kriminalität. 

Die südafrikanische Mentalität ist für das Drama wohl auch besonders zugänglich – die Angst, vom schwarzen Mann ins Meer gedrängt zu werden, auf die sich die Apartheidspropaganda von früher im Wesentlichen stütze, scheint sich auch heute noch in einem Hang zur Übertreibung von Gefahrenpotentialen niederzuschlagen. Als ich unseren südafrikanischen Freunden einen Videoclip zeigte, den ich in unserem Garten gedreht hatte, waren sich alle sofort sicher: Das angriffslustige Reptil darin war eindeutig eine Puffotter, höchst aggressiv, und tödlich giftig. Das Bestimmungsbuch allerdings identifizierte die Schlange als einen völlig harmlosen Eggeater, eine ungiftige Natter, die sich durch Drohgebärden und Aufspreizen des Kiefers nur den Anschein gibt, giftig zu sein. Was die Gefahr, doch mal von einer Puffotter erwischt zu werden, natürlich keinesfalls schmälert. Auch wenn ich diese Geschichte bezeichnend für die Psychologie weißer Südafrikaner finde, die sich oft und gerne als Opfer der Gefahren in ihrem Lande sehen, soll nicht der Eindruck entstehen, mit ausreichender Naivität käme man schon unbehelligt davon – oder man könne sich durch clevere Besserwisserei der Gefahr entziehen. Südafrika ist ein Land, in dem man gut daran tut, Gefahren ernst zu nehmen und die Risiken abzuschätzen – um sich dann zu entscheiden, wie und wo man sich sicher fühlt, und welcher Herausforderung man sich gewachsen fühlt. Gute Informationen zu bekommen ist essentiell, dabei aber leider nicht immer einfach - die meisten Reiseführer gehen nicht über recht allgemeine Ratschläge hinaus, und viele selbst ernannte Kapstadtkenner berufen sich nur aufs Hörensagen. Wenn es um die 'dos and dont's' geht, werden die Sachverhalte oft düsterer dargestellt, als sie wirklich sind. 




Doch Sicherheit ist ein Gefühl, kein Zustand. Man kann deshalb jedem Touristen nur empfehlen, einen eigenen Weg zu finden, sich in dem aufregenden Spannungsfeld der südafrikanischen Gesellschaft zu bewegen. Die Anstrengung, die dies Anfangs vielleicht kostet, wird sich in Momenten echten Glücks und Unbeschwertheit auszahlen. Der aufgeschlossen Reisende wird mit Menschen aller Hautfarben lachen, weinen, und feiern können. Wer sich aber Angst einjagen lässt, wird die schönsten Momente und Geschichten, die Südafrika zu bieten hat, leider verpassen. 

Do's and Dont's: Wie gefährlich ist Kapstadt?


Mehr Geld als an Gangster verliert man an Touristenfallen.
Vorsicht vor Restaurants, die einem das Gesicht anpinseln.


Unfälle, Überfälle und Gewaltdelikte gehören unzweifelhaft zum südafrikanischen Alltag. Das Leben am Kap der guten Hoffnung ist wilder, rechtloser, gefährlicher als in Castrop-Rauxel. Viele tatsächliche Gefahren werden von Unwissenden allerdings nicht erkannt oder falsch eingeschätzt; andere Gefahrenpotentiale werden, sogar von Ortskundigen, stark übertrieben, und bis zur Paranoia aufgebauscht. News from Nowhere entlarvt einige Mythen und nennt unterschätzte Gefahren.


Man soll:

 Sich treiben lassen: Kapstadt und ganz Südafrika laden dazu ein, auf eigene Entdeckungsreise zu gehen. Oft stehen die schönsten Bed & Breakfast eben nicht im Lonely Planet, sondern werden per Zufall gefunden. Das Angebot ist so breit, dass man auch in der Hochsaison nicht reservieren muss, es sei denn, man ist an einem touristischen Hotspot gelandet. Und selbst dann ist oft noch der Campingplatz frei. Wer seine Reise exakt vorgeplant hat, wird sich irgendwo irgendwann sehr aufregen, weil nichts klappt – oder darüber ärgern, an diesem oder jenem Ort nicht mehr Zeit eingeplant zu haben. Wer mit offenen Augen und gesundem Menschenverstand unterwegs ist, muss sich unterwegs nicht fürchten.

Snoek - Frisch vom Kutter am besten.
Der Stassenrand haelt einige kulinarische Ueberraschugnen bereit.

 Ein Auto mieten. In Südafrika unkompliziert, billig, und oft die einzige Art und Weise, dorthin zu kommen, wo man hin will. An den Linksverkehr gewöhnt man sich schnell, der Stadtverkehr ist einigermaßen zivilisiert. Auf dem Land ist man oft kilometerlang alleine auf schnurgerader Piste unterwegs – road movie pur. Auf Staubstraßen lässt man ein bisschen Luft aus den Reifen (nachher wieder aufpumpen!) und fährt dann in etwa wie auf Schneedecke. Optimale Geschwindigkeit sind 60 km/h, dann spürt das Auto - und man selber - die Vibrationen am wenigsten.

Alte Autos - sehen gut aus, und fahren besser als man denkt.
In Kapstadt billig zu haben.

 In Restaurants essen gehen: Die südafrikanische Küche ist vielfältig, lecker, und billig. Egal ob Frühstück, Kaffee, Sushi oder Festmahl – selten bekommt der Reisende solche Qualität und Quantität für so wenig Geld. Kettenrestaurants sollte man meiden – hier gilt diese Regel nicht unbedingt.Da freut sich der Hobbykoch.
Frischer Cape Salmon fuer weniger als ein Buttterbrot.

 Trinkgeld geben. 10% in Restaurants, für Autobewacher sind je nach Parkdauer 2 bis 5 Rand angebracht. Ein unbewachtes Auto, gar mit Surfbrettern auf dem Dach, ist schnell Ziel krimineller Energie. Auch an Tankstellen sind 2 Rand für den Tankwart angemessen, wenn er ungefragt noch Fenster putzt und Öl und Wasser checkt, auch mal mehr.

 Mal einen Anhalter mitnehmen: Obwohl Minitaxis sehr viele Townships mit der Innenstadt verbinden, kommen viele Angestellte einfach anders nicht zur Arbeit. Die Schauermärchen über Vergewaltigung etc. muss man nicht immer glauben. Für Frauen mit Kindern an übersichtlichen Anhalterstellen anzuhalten dürfte selbst für Ängstliche möglich sein – es wird aber davor gewarnt, dass diese manchmal als Köder benutzt werden. Also Vorsicht, und im Gebüsch nach Gangstern checken. Selber zu trampen kann man nur in sehr übersichtlichen Gebieten empfehlen - obwohl ich keine eigenen Erfahrungen auf dem Gebiet habe, trifft man immer wieder Verwegene, die von problemlosen Reisen berichten.

 Schwimmen, Surfen, Tauchen gehen: Die Ozeane um Kapstadt sind ein echtes Highlight, wenn auch kalt. Wer Interesse am Surfen hat, geht nach Muizenberg, und nimmt dort eine Stunde. Der Spaß ist billig und kann sich zu einer lebenslangen Passion entwickeln. Taucher dürften in den Kelpwäldern eine hochinteressante Abwechslung zu den tropischen Korallenriffen sonstiger Tauchdestinationen entdecken. Die Chancen, kleine und große Haie, Riesenrochen oder Seehunde zu sehen, sind extrem gut. Angriffe von Haien auf Taucher und Surfer sind statistisch gesehen weniger wahrscheinlich als dreimal hintereinander vom Blitz erschlagen zu werden.

Eine Unterkunft mit speziellem Charakter:
Das
Beach Camp in Paternoster.

 Auf den Berg steigen: Mit der Kabinenbahn auf den Tafelberg zu fahren ist langweilig. Wenigsten den Weg hoch sollte sich jeder zumuten, Natur und Aussicht sind einfach einmalig. Allerdings sollte man niemals alleine gehen, oder wenigstens einen Hund dabei haben, sowie jemandem Bescheid geben, welchen Weg man wählt, und wann man wieder zurück sein sollte. Gute Schuhe, Sonnencreme, ein Pulli und genügend Wasser sind unabdingbar.

 In ein township gehen: Bitte nicht mit einem organisierten Bustour, und dann wie im Zoo kleine schwarze Kinder knipsen, sondern mit einem Freund hinein laufen und eine Kneipe (sogenante shebeen) suchen.Viele Townships sind inzwischen sehr aufgeräumt und sicher, vor allem wenn man sich selbstbewusst und freundlich gibt. Zu üble Gegenden sollten aber unbedingt gemieden werden, z.B. Lavender Hill, Mannenberg, Mitchells Plain. Nicht nachts unterwegs sein.

Ocean Heights - township der anderen Art.
Auch so kann es in einem 'slum' aussehen.

 Das Nachtleben auf der Long Street, Seapoint und Observatory geniessen - aber im Club seinen Drink nicht unbeaufsichtigt stehen lassen (K.O. Tropfen). Distanz zwischen Auto und Club minimal halten.

 Kondome bereit halten. Wer in Südafrika ungeschützen Geschlechtsverkehr hat, ist entweder lebensmüde oder bereits HIV infiziert.


Man soll auf keinen Fall:

 In Sandalen alleine und ohne Wasser den Tafelberg erklimmen. Jedes Jahr ergötzen sich die Tageszeitungen an den oft tödlichen Unfällen dummer Touristen, die den Berg und seien Gefahren unterschätzen. This is Africa, bru! Überfälle auf dem Berg sind zurück gegangen, kommen aber vor. Wer einen Hund dabei hat, eliminiert diese Gefahr. Vorsicht vor Schlangen. Anders als andere Gifttiere verkriecht sich die auf dem Berg häufige Kap-Puffotter nicht, wenn sie Geräusche hört. Ein unbehandelter Biss kann tödlich sein.

 Handies, Portemononnaie, Sonnenbrille in Auto oder am Strand liegen lassen, auch wenn es noch so sicher wirkt. Ein Klassiker: Camps Bay ist beliebtester Strand für Kreinkriminelle die arglose Touristen 'strippen' - selbst erfahrenen Afrikareisenden, die alle Abenteuer des Kontinents unbeschadet überstanden, wurden hier schon ihre Motorräder mitsamt der ganzen Reiseausrüstung geklaut.

 Betrunken oder bekifft nachts Auto fahren. Obwohl dies ein beliebter Sport der ansässigen Bevölkerung ist, muss man dringendst davon abzuraten. Fußgänger und wilde Tiere machen das Autofahren nachts auch so schon gefährlich genug. Es ist wirklich wahr – schwarze Passanten sieht man bei Dunkelheit sehr schlecht und spät. In ländlichen Gegenden muss man damit rechnen, plötzlich Antilopen auf der Fahrbahn zu treffen – Oryx oder Eland wiegen etwa soviel wie ein Pferd, und selbst ein SUV wird bei einem Zusammenprall schwer beschädigt. In Südafrika gilt eine 0,5 Promille Grenze.

Käfigtauchen gehen: Obwohl sehr verbreitet und bei Touristen beliebt, kann ich mich nur gegen die Praxis des Käfigtauchens aussprechen – Weiße Haie werden zur Befriedigung des Kitzel in Küstennähe mit Ködern angelockt, und lernen, Menschen mit Futter in Verbindung zu bringen. Angriffe auf Schwimmer und Surfer werden damit wahrscheinlicher. Wer weiße Haie sehen will, kann ohne Käfig tauchen gehen und auf sein Glück vertrauen – der Hai ist scheu und selten, es gibt keinen verbrieften Angriff auf Taucher.

 Sich mit Behörden anlegen: Wer Stress mit südafrikanischen Beamten hat, ist zu bedauern. Besser als sich typisch deutsch aufzuregen ist, jede Schikane hinzunehmen, und Anforderungen so gut es geht zu erfüllen. Letztlich spart man sich dadurch Zeit – und Ärger. Einem Top 44 Surfer wurde kürzlich die Einreise verwehrt, weil sein Pass deutliche Abnutzungsspuren trug. Der Surfer beschwerte sich, und landete prompt für eine Nacht im Gefängnis, um am nächsten Morgen in Handschellen ein Flugzeug nach Hause zu besteigen. Deshalb: ruhig bleiben, lächeln, dumm stellen – und geduldig sein, wenn's mal länger dauert.

Das Gesicht Suedafrikas:
Ein strahlendes Laecheln.

 Sich in die Touristenfallen in Big Bay setzen, sich pseudoafrikanische Verzierungen in die Fratze malen lassen, und dabei supercool fühlen. Das ist nur peinlich, sonst nichts.

 Sich von Horrorstories die Sicht auf Südafrika und seine vielfältige, hilfsbereite, kommunikationsfreudige Bevölkerung verstellen zu lassen. Im Falle eines Falles sollte man sich ohne Widerstand von weltlichen Gütern trennen können – immer noch ist ein Menschenleben sehr billig, wenn man am Existenzminimum lebt. Handy, Geld, selbst der Pass sind es nicht wert, sich in einem Handgemenge ein Loch in der Haut zu holen. Wer Opfer einer Vergewaltigung wird, tut aber gut daran sich so vehement zur Wehr zu setzen, wie es nur möglich ist – die traurige Wahrheit ist, dass viele Vergewaltigungen in Südafrika im Mord enden.


Die kleinen Dinge werden oft uebersehen.
Diese Wunder der Natur sind nicht groesser als ein Geldstueck
- und jeder Seestern hat sein individuelles Muster. (click to enlarge)

Südafrika: Ein Land wie die Welt


Dem Südafrikareisenden stellt sich irgendwann die Frage, ob die Realität unserer Welt ertragbar sei. Was nämlich in Deutschland meist noch als theoretisch-philosophische Fingerübung durchgeht, ist hier tägliche Konfrontation: Kann ich mich an Natur, Konsum und Dolce Vita erfreuen, wenn an jeder Ecke Straßenkinder um Essen betteln, und hinter dem Hotelzaun der Slum beginnt? Wer sich als Tourist über südafrikanische Zustände entgeistert, ist letztlich aber nur Opfer der eigenen Naivität.
Die andere Seite: Das Restaurant Kitima in Hout Bay besticht durch Eleganz, Prunk und Sushi der Extraklasse.
Ein schwarzer Mann steht an der Straße nach Kommetjie, um seinen Nacken hängt eine Reklametafel: Sale! Italian Clothing, New and Used. Es sind vierzig Grad im Schatten, die Sonne knallt auf den Asphalt, der Mann steht reglos, stundenlang. Die Autos zischen vorbei, der Luftzug bringt das Schild jedes Mal ins Schwanken. Tag für Tag steht er da, wir fahren auf dem Weg zum Surfen, zum Einkaufen, zum Restaurant an ihm vorbei. Jedes Mal wünsche ich mir den Mumm, ihn zu fragen, was er mit diesem 'Job' verdient - um ihm das Doppelte auf die Hand zu zahlen und nach Hause zu schicken. Doch natürlich tue ich nichts dergleichen, die Welt ist wie sie ist, und der Schildträger ist sicherlich froh über diese Arbeit, die uns unwürdig vorkommt.
Abends fahren wir Sushi essen, das Restaurant gehört zu denjenigen, die sich nur Weiße und wenige 'Black Pearls' leisten können, für uns Deutsche Urlauber mit harten Euro aber immer noch ein Schnäppchen ist. Draußen steht unser rostiger Käfer neben Rolls Royce und Porsche geparkt, und wir zahlen dem Autowächter für seine Dienste ein Hundertstel dessen, was wir nur für Getränke ausgeben werden. Seine Antwort ist ein Lächeln, das Schnee zum Schmelzen brächte - in einem von einer langen Narbe verunstalteten Gesicht.
Eine am Standard gemessen eher noch schlichte Unterkunft fuer Menschen mit Geld:
'Rondavel' in De Hoop Nature Reserve fuer 50 euro die Nacht..
An der Tankstelle putzt der schwarze Tankwart für zwanzig Cent die Fenster, an der Straßenbaustelle hat eine schwarze Frau nichts anderes zu tun, als stundenlang eine rote Fahne zu schwenken, in den glitzernden Hotels machen unterbezahlte 'Maids' die Betten, in den townships haben mehr als die Hälfte der Menschen keine Arbeit. In Südafrika prallen Erste und Dritte Welt unvermittelt aufeinander.
Doch im Prinzip, machen wir uns nichts vor, passiert hier nichts anderes, als Globalisierung en miniature: Unser deutsches Leben ist auch nur möglich, weil es sweat shops in Indien, Raubbau in Nigeria, und brain drain in Argentinien etc etc pp gibt. Aber in der Regel sehen wir die Armut nicht, können die Konsequenzen verdrängen, die unser Lebensstil mit sich bringt. In Kapstadt aber wird man jeden Tag aufs neue an seine Privilegien erinnert.
Nicht ganz so bequem: Schlafstaette tausender Kinder auf suedafrikanischen Strassen.
Ob man denn das Leben hier auf Dauer ertragen könne, lautet deshalb eine Standardfrage des Besuchers, dem nach zwei Wochen voller gegensätzlicher Eindrücke – so viel Schönes und Schreckliches auf einem Haufen! - der Kopf schwirrt. Meine Antwort lautet: Hier ist es wenigstens ehrlicher. So wie vielleicht nur der Fleisch essen sollte, der schon mal ein Tier geschlachtet hat, sollte wohl nur der Diamanten am Finger tragen, der dem unterernährten Tagelöhner, der sich Rücken und Hände im Berg zerschunden hat, in die Augen schauen kann. 
"We are vagrants," sagt Elli, die Obdachlose, als ich das Foto mache. "Take this picture and tell the world how we live."
Dem Südafrikareisenden stellt sich irgendwann die Frage, ob die Realität unserer Welt ertragbar sei. Was nämlich in Deutschland meist noch als theoretisch-philosophische Fingerübung durchgeht, ist hier tägliche Konfrontation: Kann ich mich an Natur, Konsum und Dolce Vita erfreuen, wenn an jeder Ecke Straßenkinder um Essen betteln, und hinter dem Hotelzaun der Slum beginnt? Wer sich als Tourist über südafrikanische Zustände entgeistert, ist letztlich aber nur Opfer der eigenen Naivität.
Die andere Seite: Das Restaurant Kitima in Hout Bay  besticht durch Eleganz, Prunk und Sushi der Extraklasse.
Ein schwarzer Mann steht an der Straße nach Kommetjie, um seinen Nacken hängt eine Reklametafel: Sale! Italian Clothing, New and Used. Es sind vierzig Grad im Schatten, die Sonne knallt auf den Asphalt, der Mann steht reglos, stundenlang. Die Autos zischen vorbei, der Luftzug bringt das Schild jedes Mal ins Schwanken. Tag für Tag steht er da, wir fahren auf dem Weg zum Surfen, zum Einkaufen, zum Restaurant an ihm vorbei. Jedes Mal wünsche ich mir den Mumm, ihn zu fragen, was er mit diesem 'Job' verdient - um ihm das Doppelte auf die Hand zu zahlen und nach Hause zu schicken. Doch natürlich tue ich nichts dergleichen, die Welt ist wie sie ist, und der Schildträger ist sicherlich froh über diese Arbeit, die uns unwürdig vorkommt.
Abends fahren wir Sushi essen, das Restaurant gehört zu denjenigen, die sich nur Weiße und wenige 'Black Pearls' leisten können, für uns Deutsche Urlauber mit harten Euro aber immer noch ein Schnäppchen ist. Draußen steht unser rostiger Käfer neben Rolls Royce und Porsche geparkt, und wir zahlen dem Autowächter für seine Dienste ein Hundertstel dessen, was wir nur für Getränke ausgeben werden. Seine Antwort ist ein Lächeln, das Schnee zum Schmelzen brächte - in einem von einer langen Narbe verunstalteten Gesicht.
Eine am Standard gemessen eher noch schlichte Unterkunft fuer Menschen mit Geld: 
'Rondavel' in De Hoop Nature Reserve fuer 50 euro die Nacht.. 
An der Tankstelle putzt der schwarze Tankwart für zwanzig Cent die Fenster, an der Straßenbaustelle hat eine schwarze Frau nichts anderes zu tun, als stundenlang eine rote Fahne zu schwenken, in den glitzernden Hotels machen unterbezahlte 'Maids' die Betten, in den townships haben mehr als die Hälfte der Menschen keine Arbeit. In Südafrika prallen Erste und Dritte Welt unvermittelt aufeinander.
Doch im Prinzip, machen wir uns nichts vor, passiert hier nichts anderes, als Globalisierung en miniature: Unser deutsches Leben ist auch nur möglich, weil es sweat shops in Indien, Raubbau in Nigeria, und brain drain in Argentinien etc etc pp gibt. Aber in der Regel sehen wir die Armut nicht, können die Konsequenzen verdrängen, die unser Lebensstil mit sich bringt. In Kapstadt aber wird man jeden Tag aufs neue an seine Privilegien erinnert.
Nicht ganz so bequem: Schlafstaette tausender Kinder auf suedafrikanischen Strassen. 
Ob man denn das Leben hier auf Dauer ertragen könne, lautet deshalb eine Standardfrage des Besuchers, dem nach zwei Wochen voller gegensätzlicher Eindrücke – so viel Schönes und Schreckliches auf einem Haufen! - der Kopf schwirrt. Meine Antwort lautet: Hier ist es wenigstens ehrlicher. So wie vielleicht nur der Fleisch essen sollte, der schon mal ein Tier geschlachtet hat, sollte wohl nur der Diamanten am Finger tragen, der dem unterernährten Tagelöhner, der sich Rücken und Hände im Berg zerschunden hat, in die Augen schauen kann.
"We are vagrants," sagt Eli, eine obdachlose Bergie
"Take this picture and show the world how we live."

Afrikaans in fünf Minuten

Dieser Post erschien am 31.05. 2010 auf meinem News from Nowhere Blog

Tips für WM Reisende: Afrikaans in fünf Minuten

Die einstmalige 'Unterdrückersprache' Afrikaans wird von der Weltöffentlichkeit zu Unrecht als nur eine weitere Kuriosität der babylonischen Verwirrung im WM-Gastgeberland wahrgenommen. Sie ist aber nicht nur wichtigste Verkehrssprache in weiten Teilen des südlichen Afrikas – sie würde dank reduzierter Grammatik auch ein perfektes Esperanto mit germanischem Lexempool abgeben. Überdies ist sie inzwischen Beispiel gelungener Interkulturalität. News from Nowhere gibt seinen Lesern mit einem Ultracrashkurs Einblick in die für Deutsche am einfachsten zu lernende Fremdsprache der Welt. Es lohnt sich – nicht nur weil man auf Afrikaans hervorragend fluchen kann.
'Vars geelbek!' Wer Afrikaans spricht,
kriegt frischen Fisch direkt vom Fischer nochmal günstiger.

War Ihr Fremdsprachenunterricht auch mehr Qual als Freude? Waren Grammatiken voller Ausnahmeregeln ein rotes Tuch, und sind die skurrilen Ausspracheregeln des Englischen nicht heute noch rätselhaft? Dann gibt es gute Nachrichten - wem Englisch oder Xhosa Mühe macht, kann sich bei einer Reise ins WM-Land vielfach einfacher mit Afrikaans durchschlagen.

Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit: mehr braucht der Bure nicht, um jegliche Feinheiten aller vorstellbarer Lebenssituationen zu beschreiben. Die Bildung der Zeitformen ist im Handumdrehen lernbar, und wird durch die Nichtflexion der Verben erleichtert - alles ist Infinitiv, lediglich ein Zeitmarker wird voran gestellt. Mehr Theorie ist nicht, steigen wir also gleich ein, und lernen die ersten wichtigen Sätze:
'Ek eet boerewors.' (Ich esse Burenwurst.)
'Hy/Sy eet boerewors.' (Er/sie ißt Burenwurst.)
'Ons eet boerewors.' (Wir esssen Burenwurst.)
Genau, alles bleibt immer gleich, nur die Personen unterscheiden sich. Werfen wir nun einen Blick in die Vergangenheit: Ganz Ähnlich wie im Deutschen gibt es dafür eine Konstruktion mit het ...ge(+Infintiv).
Also:
'Ek het boerwors geet.' (Ich habe Burenwurst gegessen.)
'Hy het boerwros geet.' (Er hat ... genau....) usw.

Die Zukunft wiederum zeigt das kurze Wörtchen 'sal' (sollen) an:
'Ek sal boerwors eet.' (Ich werde Burenwurst essen.)
Ausnahmen zu diesen Regeln gibt es keine. Gar keine.
Auch bei den Artikeln kann man es sich einfach machen: Alles ist 'die':

'die man' (der Mann),
'die vrou' (die Frau),
'die kind' (das Kind).
'Sorry! Waar is die regte straat na Stellenbos?'
Wer auf Afrikaans nach dem Weg fragt, ist schon mal kein doofer Tourist.

Einzige Herausforderung mag zunächst die Aussprache bleiben: Doch folgt man drei simplen Regeln, nämlich 'g' wie 'chchch', 'oe' wie 'u' und 'itije' wie 'iki' auszusprechen, wird schon manches klarer. Selbst die Lektüre kurzer Zeitungsartikel kann man damit betreiben und wird erstaunt feststellen, dass man beim laut sich selber vorlesen auf einmal versteht, worum es geht, obwohl da vorher nur Bahnhof stand. Fortgeschrittene rollen außerdem das 'r' hart und kurz, und klingen damit bereits wie mit einer Burenwurst im Mund geboren.

Zu gut, um wahr zu sein? Es kommt noch besser, denn der erfolgreichen Kommunikation fehlt jetzt nur noch eines: Wörter lernen. Und das kann sich für den Deutschkundigen oftmals als wahrhaft ulkige Angelegenheit erweisen. 'Mans geslagsorgan verslapping' zum Beipiel bezeichnet Impotenz, während man sich mit 'lekker slaap' des Nächtens in seine 'kammeren' verabschiedet.

'Ek will Afrikaans leer praat'.
Afrikaanslernende zaubern auch dem verkniffensten Local ein Lächeln ins Gesicht.

Nun zum wichtigsten und unterhaltsamsten Aspekt einer jeden Sprache: den Kraftausdrücken. Von diesen gibt es im Afrikaans eine endlose Vielzahl. Dem ländlichen Umfeld seiner Genesis geschuldet, schöpft die Burensprache ausdauernd aus Fäkal- oder Sexualmetaphorik. Gepaart mit der markigen Aussprache erhält man einen bunten Reigen herzerfrischender Phrasen, zum Beispiel: 'Gaan kak in die millies!' Die Aufforderung, ins Maisfeld zu scheißen, bedeutet natürlich nichts anderes, als dass der Redner dem Rezipienten damit bedeutet, dessen Anwesenheit nicht länger ertragen zu wollen - ein nützlicher Satz, um sich politischen Diskussionen, anstrengenden Affären oder aufdringlichen park guides zu entziehen (bei letzteren ist in der Diktion allerdings etwas Vorsicht geboten!). Die Anrufung des mütterlichen Genitals des Gesprächspartners mit dem putzigen Sätzchen 'Jou ma se puss!' ist ein weiterer Klassiker, und scheint bei jeder vorstellbaren Kommunikationssituation als Affirmativ angebracht.

Es kann bei so vielen Vorzügen also nicht verwundern, dass Afrikaans sich bester Gesundheit und allgemeiner Beliebtheit erfreut. Auf den Straßen Kapstadt jedenfalls ist sie die meist gesprochene Sprache, von Weiß und Schwarz und so ziemlich allem zwischendrin. Comedy, Soap und Popkultur sind ohne Afrikaans nur halb so witzig, und keine Sprache hat sich als so flexibel und aufnahmefähig für Lexeme anderer Sprachen gezeigt.

Es ist typisch südafrikanische Ironie des Schicksals, dass die einstmalige 'Sprache der Apartheid' heute die interkulturelle Lingua Kaapa geworden ist.

Voortrekkers and Heroism - A South African History Lesson

This post originally appeared in my News from Nowhere blog in November 2009

Voortrekkers and Heroism: History Lesson in South Africa

It is what must be one of the most ugly buildings in existence: Massive, forbidding, fortress like – neither the Voortrekker Monument in Pretoria itself nor the exhibition of the to my mind mostly pathetic art and artifacts it houses really awakes sympathies for the Boers. But it serves well to exemplify where the challenge lies in feeling South African, how identity is shaped by overcoming common challenges – and how important it is to understand that history is always a narrative.

The Monument in all its grotesque splendor. Looks Nazi, feels eerie.

I am not a good tourist in the way of sightseeing and ticking off the must-sees, but the gigantomanic, tomblike hall erected in memory of the Great Trek, the most important single event to Boer identity, is definitely worth a visit. Located on a hill overlooking South Africa's capitol, it was erected in 1938, and houses not only a coffin-altar unto which the sun only shines once a year at midday in memory of the Battle of Blood River, but also a marble frieze depicting the hardships and plight of some 15,000 Boers who trekked across eastern South Africa in the 1840-50s, after not feeling welcome anymore in the British dominated Cape colony.

Mama Boer knows best.

Facing an unforgiving nature and natives who were strangely and rather aggressively opposed to the taking of their land by the stern bible-clutching Calvinists (in drastic opposition to the strange belief that the land 'was unpopulated', as the Afrikaner story had it) the successful nomadic operation became an event of unifying force – producing martyrs for the cause of Boer independence along the way. Blood and guts, God and martyrs, a shrine – and a common enemy that is easily identified: there you have it, all the ingredients to make up a common myth that still today influences the way many Boers see themselves today.

Is that what happened? Darkies on a hunt for those innocent white Girls.

The feat of conquering Southern Africa's harshest parts is of course heroic – the men and women did prove themselves to be extremely brave. Yet from a modern perspective, one feels a little ashamed of the naive simplicity with which the fight of white against black is portrayed as a figth of good aganist evil, and how the legends woven around it warp historic understanding. Even the accompanying exhibition that is trying to shift weight a little bit to a neutral view-point remains but a foot-note against the racist-religious fervour present throughout the monument – and the reverence for those Voortrekkers shining in the eyes mostly Afrikaner visitors. That you can buy coffee mugs smugly adorned with the old apartheid flag in the adjoining souvenier shop doen't really help that either.

The sarcophagus in the monument. The inscriptopn reads: Ons vir jou Suid Afrika (We [die] for you, South Africa)

All of this points right down to the dominant question of South African identity – how can one feel to be one nation, if the codes of identity are mainly those of opposition? Seeing the cultural differences as a benefit is a message most South Africans may have heard, but whether a majority is experiencing it from the heart, remains doubtful. Afrikaners and Brits share the common beginning of the Union of South Africa after burying the hatchet following their bloody war, at least, and the common profit from apartheid years. But what are unifying events for all South Africans, moments that are remembered as common victories, instead of one ethnicity winning over another? The release of Nelson Mandela may come to mind, but even there minds may differ. And of course winning the Rugby Title of 1995 in their own country, even though the hopeful jubilation of those days for most South Africans seems to have been fading fast in the face of reality. The TRC is hailed from an international perspective as ground-breaking concept for dealing with racial enmitiy and conflicts in one nation. But even though standing role-model for other conflicts on an international level it sems mostly underestimated in its contribution by the majority of South Africans.
The Soccer World Cup 2010 may be another great chance to experience togetherness bar all divisions. Let's wish that it will do what in some ways it has done for Germany in 2006 – releasing, or at least relieving, a nation from a common trauma. Ons vir jou, South Africa - we can't wait.

Pretoria dresses up for 2010.